Es ist ein Theater, das sich einmischt, das bewegen will, das die Öffnung zur Stadt sucht und findet. Mit der Spielzeit 2013/14 hat Shermin Langhoff die Intendanz des Maxim Gorki Theaters übernommen und gemeinsam mit Jens Hillje die künstlerische Leitung inne. In einer Umfrage der Zeitschrift „Theater heute“ wurde das Haus im September 2014 von den deutschsprachigen Kritikern zum „Theater des Jahres“ gewählt, ein Erfolg, der zwei Jahre später wiederholt werden konnte.
Ein überwiegend junges Publikum kommt mittlerweile in das Haus in Berlin-Mitte zwischen dem Palais am Festungsgraben und der Humboldt-Universität. Shermin Langhoff, die zuvor am Ballhaus Naunynstraße in Kreuzberg ihr postmigrantisches Theater entwickelt hatte, sorgt am kleinsten der Berliner Staatstheater für Aufführungen, die gezielt die Vielfalt der Stadt und ihrer Menschen ansprechen wollen.
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Eine eindringliche Konfrontation mit den Lebensgeschichten Geflüchteter brachte das Gorki 2015 mit „In unserem Namen“ zur Aufführung. Eine Bühne gab es nicht, Ensemble und Publikum befanden sich gemeinsam im Raum, saßen auf Stufen oder am Boden. In schneller Abfolge trugen die Schauspielerinnen und Schauspieler in vielerlei Sprachen Texte vor, die aus Aischylos‘ „Die Schutzflehenden“ stammten, aus Elfriede Jelineks „Die Schutzbefohlenen“, dem Protokoll der 42. Sitzung des Innenausschusses des Deutschen Bundestages oder persönliche Aussagen und Kommentare waren. Am Ende standen die Ensemble-Mitglieder mit Zuschauerinnen und Zuschauern in kleinen Gruppen beieinander und sprachen miteinander über Fluchtursachen, Fluchtwege, Asylverfahren, die Aufnahme in Deutschland und darüber, wie eine bessere Gesellschaft aussehen könnte. Eine Ausstellung im Rahmen des „Herbstsalons“ des Gorki-Theaters zeigte u.a. Objekte der Flucht, verlorene Gegenstände, eingesammelt an den Stränden der Fluchtrouten.
Auf dem aktuellen Spielplan stehen Inszenierungen wie der „Atlas des Kommunismus“, der persönliche Lebensgeschichten voller Hoffnungen und Enttäuschungen erzählt, oder „Das Kohlhaas-Prinzip“, eine Geschichte über die Suche nach Gerechtigkeit. Seit 2016 wird am Gorki auch wieder Hans Falladas Geschichte „Kleiner Mann, was nun?“ erzählt. Sie schildert den Kampf des Angestellten Pinneberg, mit seinem „Lämmchen“ Emma, Tochter eines sozialdemokratischen Arbeiters, ein selbstbestimmtes und menschenwürdiges Leben zu führen. Der Kampf um einen Arbeitsplatz, der wachsende Leistungsdruck, Schikanen und Rückschläge – das Glück bleibt für den „kleinen Mann“ immer außer Reichweite. Die bewegende Geschichte aus den endzwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts hat ohnehin kaum an Aktualität verloren. Die Inszenierung von Hakan Savaş Mican lässt nicht nur die Parallelen zur neoliberalen Arbeitswelt erkennen, sondern reichert sie auch gorkigerecht noch um einen Einwurf aus der Zukunft an, in der es Migration gibt und in Moabit nicht nur miserable Arbeiterunterkünfte sondern auch lange Schlangen vor einem Lageso. Auf Sylvia Riegers Bühne mit wippenden Brettern, die dicht an die Stuhlreihen ragen, wechseln die Schauspieler im Minutentakt die Rollen, Identitäten und Schauplätze. Pinneberg, den Dimitrij Schaad in aller Vielschichtigkeit verkörpert, könnte jeder in dieser bunten und vielfältigen Stadt sein, für die das Gorki Theater macht.