Am Abend zieht es ein buntgemischtes, überwiegend jüngeres Publikum in das im klassizistischen Stil errichtete Haus. Berlins kleinstes Staatstheater liegt etwas zurückgesetzt neben dem Palais am Festungsgraben, wenige Meter von der Straße Unter den Linden entfernt. Erbaut wurde es zwischen 1825 und 1827 von Carl Theodor Ottmer nach Plänen von Karl Friedrich Schinkel, damals als Konzerthaus für die 1791 gegründete Berliner Singakademie, eine Chorvereinigung, die ihre Auftritte heute überwiegend im Konzerthaus am Gendarmenmarkt oder in der Philharmonie hat.
Schon gleich nach dem Bau musste sich das Haus aus Kostengründen für andere Anlässe öffnen, Alexander von Humboldt hielt hier Vorlesungen. Im Sommer 1848 kam die Preußische Nationalversammlung in der Singakademie zusammen. Das Haus war aber auch Schauplatz herausragender Konzerte, angefangen mit der Eröffnungsaufführung, der Matthäus-Passion von Johann Sebastian Bach 1829, geleitet vom 20jährigen Felix Mendelssohn Bartholdy. Die Singakademie erarbeitete sich ein viel beachtetes Repertoire, öffnete sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts auch modernen Musikrichtungen und unternahm viele Konzertreisen ins Ausland.
Im Zweiten Weltkrieg wurde das Haus beschädigt, von der sowjetischen Besatzungsmacht aber ab 1947 wieder instand gesetzt. Denn nachdem im benachbarten Palais am Festungsgraben das „Haus der Kultur der Sowjetunion“ seinen Platz gefunden hatte, sollte im wiederhergestellten Theaterbau, der den programmatischen Namen „Maxim-Gorki-Theater“ erhielt, russische Theaterkultur zu sehen sein.
Ab Ende 1949 wurde, ausgehend von der Sowjetunion, auch in der DDR eine Kampagne gegen westliche Kultur und Dekadenz geführt. Das Gorki-Theater diente bewusst als Gegenpol zum als formalistisch eingestuften Berliner Ensemble Brechts, dessen Schauspieler sich Distanz zu den dargestellten Figuren bewahrten und die auch Widersprüche in ihren Stücken zuließen. In der Formalismusdebatte zwischen Brecht und Friedrich Wolf wurden 1949 die unterschiedlichen Ansätze deutlich. Im März bezog das Zentralkomitee (ZK) der SED in einem Beschluss klar Stellung „gegen Formalismus in Literatur und Kunst für eine fortschrittliche deutsche Kultur“.
Literatur und bildende Künste seien, so formulierte es Ministerpräsident Otto Grotewohl, der Politik untergeordnet. Walter Ulbricht wetterte gegen abstrakte Kunst und düstere Bilder, die nur dem Niedergang des Kapitalismus entspringen würden. Der erste Intendant des Gorki-Theaters Maxim Vallentin, zurückgekehrt aus der sowjetischen Emigration und dem sozialistischen Realismus verpflichtet, eröffnete das Haus am 30. Oktober 1952 daher nicht etwa mit einem Gorki-Stück, dem ursprünglich vorgesehenen düsteren „Nachtasyl“, in dem Kriminelle und Gescheiterte zusammenkommen, sondern mit der deutschen Erstaufführung von Boris Lawrenjows Stück „Für die auf See“, einem Stück über falsche Entscheidungen eines zu ehrgeizigen U-Boot-Kommandeurs.
Das Maxim-Gorki-Theater lieferte fortan klare politische Botschaften, wie sie den Vorstellungen der SED und der sowjetischen Besatzungsmacht vom Auftrag eines Theaters entsprachen. Mit der Entstalinisierung Ende der fünfziger Jahre gab es eine Phase, in der auch kritische Stücke des Gorki-Dramaturgen Heiner Müller auf die Bühne kamen. 1988, ein Jahr vor der Wende, sorgte das Gorki-Theater mit der Aufführung von Volker Brauns „Übergangsgesellschaft“ , inszeniert von Thomas Langhoff, für Aufsehen. Es spiegelte die DDR-Gesellschaft und zeigte Emanzipation und individuelles Engagement. Albert Hetterle, Intendant seit 1968, machte die Aufführung möglich. Bis 1994 blieb er im Amt.
In einem mehrjährigen Gerichtsverfahren wurde das Gorki-Theater nach der Wende der Singakademie zu Berlin zurückgegeben, der Berliner Senat einigte sich 2016 auf eine Ausgleichzahlung für die Nachwendezeit in Höhe von 3,5 Millionen Euro. Dazu kommt eine jährliche Miete von 315.000 Euro.
Auf Hetterle folgten die Intendanten Bernd Wilms (1994-2001), der anschließend zum Deutschen Theater wechselte, Volker Hesse (2001-2006), Armin Petras (2006-2013) und ab der Spielzeit 2013/2014 Shermin Langhoff und Jens Hillje. Ein Mix aus klassischen Stücken und Neuinszenierungen prägte die Spielzeiten, bis Shermin Langhoff, Schwiegertochter von Thomas Langhoff, eine weitere Öffnung in die Vielfalt der Stadtgesellschaft vorantrieb. Am kleinen Ballhaus Naunynstraße in Kreuzberg hatte sie zuvor vielbeachtete Aufführungen auf die Bühne gebracht, für die sie das Label postmigrantisches Theater entwickelt hatte. Die Vielschichtigkeit der Stadt sollte auch auf der Bühne sichtbar werden. Autorinnen und Autoren und Theaterleute mit nichtdeutscher Herkunft fanden einen Raum für ihre Geschichten. Ihr gehe es, so Shermin Langhoff 2011 in einem Interview „um Geschichten und Perspektiven derer, die selbst nicht mehr migriert sind, diesen Migrationshintergrund aber als persönliches Wissen und kollektive Erinnerung mitbringen. Darüber hinaus steht ,postmigrantisch‘ in unserem globalisierten, vor allem urbanen Leben für den gesamten gemeinsamen Raum der Diversität jenseits von Herkunft“.
2014 und 2016 wurde das „Gorki“ von der Zeitschrift „Theater heute“ als Theater des Jahres gewürdigt. Über die Aufführungen hinaus engagiert sich das Gorki bei Kunstaktionen und Ausstellungen, etwa zur Situation Geflüchteter wie beim Herbstsalon 2015.
zum Spielplan des Gorki-Theaters
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