Es braucht Ausdauer, auf der Bühne wie vor der Bühne. Zweieinhalb Stunden wummern bei der Inszenierung von „Leonce und Lena“ am Deutschen Theater die Techno-Bässe, schreien die Schauspielerinnen und Schauspieler ihren Text silbenweise ins Publikum, während sie unentwegt gegen die Dauerbewegung der Drehbühne anschreiten.
Als Lustspiel mit etlichen satirischen Elementen hatte Georg Büchner das Stück 1836 verfasst, erst 1895 wurde „Leonce und Lena“ uraufgeführt. Von Lust bleibt in der Aufführung des Deutschen Theaters, von Regisseur Ulrich Rasche in Zusammenarbeit mit dem Choreografen Jefta van Dinther auf die Bühne gebracht, wenig übrig. Zu sehen ist ein politisches Techno-Spektakel, anklagend, aufrüttelnd, eindringlich. Für die politischen Passagen sorgen Texte aus dem „Hessischen Landboten“, einer Flugschrift Büchners, die soziale Missstände anprangerte und im Aufruf „Friede den Hütten! Krieg den Palästen!“ gipfelte.
Ulrich Rasche steckt seine Schauspielerinnen und Schauspieler in eine nicht enden wollende Tretmühle der Eintönigkeit, auf dunkler Bühne, von einem beweglichen Gitter aus Leuchtröhren nur wenig erhellt. Monotonie, wie sie auch der melancholische Kronprinz Leonce im Büchner-Stück empfindet, wird für das Publikum quälend spürbar. Ob der Lautstärke der Darbietung bietet das Theater einen kostenlosen Gehörschutz.
Büchner erzählt mit Leonce und Lena eine Geschichte voller Absurditäten und Anspielungen. Prinz Leonce vom Königreiche Popo ist es müde, sein Leben zu leben, selbst seine Mätresse, die Tänzerin Rosetta, ermüdet ihn, einzig das Beenden dieser Liebe übt noch einmal einen kurzen Reiz aus. Der mit sich selbst befasste Adelsspross soll nun auf Druck des Vaters, eines einfältigen Monarchen, die ihm unbekannte Prinzessin Lena vom Königreich Pipi heiraten. Während sich Leonce mit Diener Valerio deshalb auf die Flucht nach Italien begibt, flieht auch Lena mit ihrer Gouvernante vor der drohenden Hochzeit, die über ihren Kopf hinweg entschieden wurde. Beide begegnen sich auf ihren Reisen und verlieben sich unerkannt ineinander. Leonce, überwältigt vom romantischen Gefühl, denkt an Selbstmord, Valerio hält ihn von solch in seinen Augen lächerlichen Freitod ab, rät stattdessen zu einer Hochzeit. Die wird ohne das verschwundene Brautpaar inzwischen am Hofe des Königs vorbereitet. Leonce und Lena erscheinen dort zur Unkenntlichkeit verkleidet, von Valerio als Automaten vorgestellt, die über alle menschlichen Funktionen verfügten. So nehmen die Automaten die Stelle des Brautpaares ein, werden vermählt und stellen, als sie die Masken abnehmen, fest, dass sich das ihnen zugedachte Schicksal doch erfüllt hat. Leonce akzeptiert die Vorsehung, die ihn zum Herrscher abgestumpfter Untertanen macht. Valerio, nun Staatsminister, erklärt die Arbeit zur Verrücktheit und ruft dazu auf, sich in den Schatten zu legen und Gott um alles Nötige zu bitten. Leonce will der Stumpfheit und Langeweile mit der Zerschlagung der Uhren begegnen.
Wer reinsten Büchner erwartet, wird enttäuscht sein. Büchner Stück ist von Rasche deutlich gekürzt worden, Büchners Figuren gewinnen keine Individualität, sie reihen sich ein in die Gruppe der eintönig Marschierenden. Es bleibt Büchners Kritik an der Untätigkeit der Herrschenden, die die Mittel zu Veränderung besäßen, eine Kritik verfasst weit vor der Märzrevolution, aber überraschend aktuell wirkend. In der Märzrevolution waren es Bürger und Bauern, die die Veränderung selbst in die Hand nehmen wollten.
Für die Schauspielerinnen und Schauspieler ist der Abend ein endlos wirkender, stimmbandzehrender Marsch auf der Bühne. Im Publikum gibt es einzelne, die die zweieinhalb Stunden abkürzen.
Regie und Bühne Ulrich Rasche
Komposition und Musikalische Leitung Nico van Wersch
Chorleitung Toni Jessen
Choreografie Jefta van Dinther
Kostüme Romy Springsguth
Licht Cornelia Gloth
Mitarbeit Musik Jonathan Heck
Ton Martin Person, Marcel Braun
Dramaturgie David Heiligers
Premiere am Deutschen Theater: 20. Januar 2023